Freitag, 27. November 2020

Merkwürdige Praktiken einiger Rechtsanwälte bei Inkasso-Geschäften

Der Rechtsanwalt ist ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. So lautet der § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung. Was das im Einzelnen bedeutet, darüber will ich in diesem Beitrag gar nicht näher eingehen. Aber ich denke, dass es keine zwei Meinungen geben sollte, dass man landläufig (auch) darunter verstehen kann (oder sogar muss), dass die Tätigkeit eines Rechtsanwalts eine solche ist, der man bedingungslos vertrauen kann, ja sogar vertrauen muss.

Jeder Mensch kann einmal irren, jeder kann mal Fehler machen. Davon rede ich nicht, sondern es geht mir darum, wie ein Beruf grundsätzlich ausgeübt wird. Der Anlass für diesen Beitrag war der, dass mir in letzter Zeit Schreiben einzelner Rechtsanwälte begegnet sind, wo ich erhebliche Zweifel daran habe, ob deren Schriftsätze mit der Berufsethik, die der Beruf eines Rechtsanwalts haben sollte, noch vereinbar sind.

Um keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Ich will keine allgemeine Rechtsanwaltsschelte betreiben, aber gewisse Anwälte, die es offenbar zum Schwerpunkt ihrer Tätigkeit gemacht haben, Inkasso von Online-Händlern zu betreiben, agieren nach meinem Dafürhalten mit Methoden, die aus meiner Sicht sehr fragwürdig sind. Dabei geht es auch nicht darum, dass Inkasso-Geschäfte zum Tätigkeitsbereich eines Rechtsanwalts gehören. Es geht vielmehr um die Art und Weise, wie diese ausgeübt wird, wenn es um Online-Geschäfte geht.

Wenn ich meine Arzt-Rechnung nicht bezahlt habe und ich schließlich ein solches Rechtsanwaltsschreiben bekomme, dann ist sicherlich an folgender Formulierung nichts auszusetzen:

Unsere Mandantschaft hat uns beauftragt, nötigenfalls auch gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sollte die Angelegenheit nicht außergerichtlich erledigt werden können. Auf die damit verbundenen weiteren Kosten und Unannehmlichkeiten weisen wir Sie ausdrücklich hin!

Aber im Gegensatz zu dem von mir gewählten Beispiel, wo es vermutlich unstrittig ist, dass ich die Kosten verursacht habe und deshalb deren Schuldner bin, steht dies gerade bei Geschäften im Internet eben nicht immer fest. Auch hier gibt es keine Regel, denn wenn ich zum wiederholten Male Lieferungen von einem Online-Händler bekommen (und bezahlt) habe, und zwar immer an die gleiche Adresse, dann darf man schon annehmen, dass ich zum Schuldner geworden bin, wenn ich die fünfte oder sechste Lieferung nicht bezahlt habe.

Aber leider nimmt es der Online-Handel bei der Prüfung, mit welcher Person ein Vertrag im Internet abgeschlossen wird, nicht sonderlich ernst und auch was die Auslieferung betrifft, so wird es durch die Praktiken einzelner Transportunternehmen den Betrügern leicht gemacht, die bestellte Ware anonym und fast gefahrlos in Empfang zu nehmen. Ich erlebe es im polizeilichen Alltag leider immer wieder, dass Personen mit einem Inkasso-Schreiben zu mir kommen und erklären, dass sie damit überhaupt nichts zu tun haben. Sehr oft ergeben dann die Ermittlungen, dass die Lieferung an eine Adresse geliefert wurde, die Hunderte Kilometer entfernt war, was die Behauptung unterlegt.

Solange überhaupt nicht feststeht, wer also der Schuldner ist, so ist die eingangs zitierte Formulierung eben nur die ‚halbe Wahrheit‘, weil richtig ist, dass der Gläubiger (das Inkasso-Unternehmen oder der Online-Händler) sehr wohl die Gerichte bemühen kann, aber es eben zur vollen Wahrheit gehört, dass dieses Bemühen zum Scheitern verurteilt ist, weil der Beweis nicht erbracht werden kann, wer der Schuldner ist. Der Hinweis auf weitere Kosten ist nach meinem Dafürhalten schon grenzwertig zur Lüge, wenn der Anwalt genau weiß oder zumindest wissen müsste, dass die nur dann gilt, wenn der Schuldner verurteilt wird.

Der Anlass für diesen Beitrag sind Rechtsanwaltsschreiben, die ich im Rahmen einer Anzeigenerstattung zur Kenntnis bekommen habe, wo die Sachlage noch eindeutiger ist und deshalb aus meiner Sicht deutlich wird, dass es hauptsächlich um Einschüchterung der vermeintlichen Schuldner geht:

Im Internet gibt es Websites, die pornographische Inhalte enthalten. Es ist nicht schwer zu erraten, dass hauptsächlich Männer zu der Kundschaft gehören, die solche Inhalte gerne sehen möchten. Nur kostet das etwas, was nachvollziehbar ist, denn nicht nur der Betrieb der Website verursacht Kosten, sondern auch die Darsteller der Inhalte wollen für ihre Dienstleistung entlohnt werden. Also kostet das Betrachten der Inhalte sozusagen ‚Eintrittsgeld‘.

Um dieses ‚Eintrittsgeld‘ zu erheben, gäbe es verschiedene Möglichkeiten, indem zum Beispiel sofort mit Kreditkarte gezahlt werden kann. Da aber viele der potentiellen Kunden entweder gar keine Kreditkarte haben oder diese dafür nicht einsetzen wollen, bedarf es anderer Lösungen.

Eine denkbare Lösung wäre, dass der Kunde seine Personalien eingeben muss und dann (online) eine Rechnung erhält. Sobald er das Geld bezahlt hat, ist das ‚Eintrittsgeld‘ entrichtet und er kann sich an den Inhalten bedienen. Aber auch diese Lösung scheidet für viele Betreiber aus, obwohl es eine sichere und saubere Lösung wäre, denn diese Prozedur dauert zu lange. Der Kunde ist jetzt im Moment scharf darauf, die versprochenen Inhalte zu konsumieren und wird zu einer anderen Website surfen, auf die der Zugang wesentlich schneller geht. Da die meisten Betreiber solcher Porno-Sites so denken und schließlich untereinander in Konkurrenz stehen, hat sich ein schnelles Verfahren durchgesetzt, welches aber letztendlich auf Vertrauen und Ehrlichkeit setzt:

Der Kunde muss sich zuerst einmal anmelden, wobei man im ersten Schritt nur eine E-Mail-Adresse braucht. Diese kann man sich bequem von einem der vielen Freemail-Provider auch unter falschem Namen (also anonym) besorgen. So kommt man also schon einmal in das „Vorzimmer“ der Website, wo man zumindest schon erkennen kann, was einem erwartet, wenn man schließlich ganz drin ist.

Wer ganz rein will, muss jetzt ein Online-Formular ausfüllen, wo nach seinen Personalien und seiner Bankverbindung gefragt wird. Sobald dies geschehen ist, öffnet sich die Pforte zum (virtuellen) Paradies. Wer ehrlich ist, der gibt seine richtigen Personalien und seine Bankverbindung an. Das ‚Eintrittsgeld‘ wird dann einfach vom Konto abgebucht. Allerdings öffnet sich die Pforte auch dann, wenn man die Personalien des Nachbars und die Bankverbindung seines Autohauses eingibt, die auf der letzten Rechnung gestanden hat. Überprüft wird das nicht, denn der Computer, der den Zugang frei gibt, kann die Daten höchstens auf Vollständigkeit und Plausibilität prüfen.

Zurück zum Schreiben des Rechtsanwalts, aus welchem ich zum Eingang meines Beitrags zitiert habe: Etwa ein halbes Jahr hat irgendeine Person an die virtuelle Pforte der Website geklopft und hat, um Einlass zu bekommen, irgendwelche Personalien und eine x-beliebige Bankverbindung eingegeben. Die Pforte hat sich danach geöffnet, aber als die Betreiberin der Website (eine Firma mit Sitz im Ausland) das Geld abbuchen wollte, hat der Kontoinhaber Widerspruch dagegen eingelegt. Schließlich hatte er offenbar mit der Sache nichts zu tun, weil die Bankverbindung wahllos gewählt wurde.

Die Sache wurde nun einem Inkasso-Unternehmen übergeben, welches zunächst feststellte, dass der Otto Mustermann an der angegebenen Adresse offenbar gar nicht auffindbar ist. Also recherchierte man in irgendwelchen Quellen und fand schließlich heraus, dass es tatsächlich einen Otto Mustermann gibt, auch wenn dieser an einem ganz anderen Ort wohnhaft ist. Also schickte das Inkasso-Unternehmen diesem Otto Mustermann ein Schreiben mit der Aufforderung, die noch offene Forderung so schnell als möglich zu begleichen. Das macht natürlich Herr Mustermann nicht, weil er mit der ganzen Sache nichts zu tun hat und von der besagten Website noch nie was gehört hat.

Wenn nun das Verfahren zu Ende wäre, dann gäbe es meinen Beitrag hier nicht. Aber leider erlebe ich immer wieder, dass die Forderung schließlich einem Rechtsanwalt übergeben wird, der schließlich ein Schreiben mit solchen Formulierungen, wie ich sie eingangs zitiert habe, an Herrn Mustermann schickt. Wenn damit Herr Mustermann eingeschüchtert wird, weil er an die möglichen Folgen denkt, dann wird er bezahlen. Anderenfalls geht er damit zur Polizei.

Was ist an diesem Schreiben auszusetzen? Dazu zitiere ich aus einem ähnlich lautenden Schreiben:

Ich weise rein formell darauf hin, dass Online Geschäfte im Internet denselben Gesetzen und der Gerichtsbarkeit unterliegen wie alle anderen Rechtsgeschäfte und daher von verbindlicher Natur sind. Sollten Sie den oben aufgeführten Betrag nicht innerhalb der vorgegebenen Frist einzahlen, werde ich meiner Mandantin empfehlen, die Forderung gerichtlich geltend zu machen, wodurch zusätzliche Kosten für Sie entstehen können. Beachten Sie bitte auch, dass unsere Kanzlei Vertragspartner der SCHUFA ist.

Rein formal ist an dem Schreiben nichts auszusetzen, aber die halbe Wahrheit ist, wenn dadurch der Gehalt der Aussage merklich verändert wird, so verwerflich wie eine Lüge. Die ganze Wahrheit würde sich wie folgt anhören:

Meine Mandantin hat keine Beweise dafür, dass Sie unser Schuldner sind. Wenn Sie es nicht freiwillig zugeben, dann können wir das unmöglich vor Gericht beweisen. Falls sich meine Mandantin trotzdem entschließen sollte, zu versuchen, die Forderung in einem Gerichtsverfahren durchzusetzen, dann könnten hierdurch erhebliche Kosten für Sie entstehen.“

Das wird natürlich kein Rechtsanwalt so schreiben, aber angesichts der Erkenntnis, die der Anwalt haben müsste, dass er die Forderung mangels Beweisen nie vor Gericht erfolgreich geltend machen kann, finde ich es moralisch höchst verwerflich, Menschen damit zu konfrontieren, die sich im Recht nicht oder nur unzureichend auskennen und schließlich noch mit der SCHUFA zu drohen.

Warum tun dies aber gewisse Rechtsanwälte überhaupt? Die Antwort ist einfach: Aus den Schreiben, die mir bei einer Anzeigeerstattung bekannt wurden, war jedes Mal zu entnehmen, dass nur die Kosten der Mandantschaft gefordert wurden. Ist also der Rechtsanwalt ohne Bezahlung tätig geworden?

Tatsächlich ist es so, dass zunächst die Person oder die Firma, die den Anwalt beauftragt hat, für die Kosten aufkommen muss. Ein Anwaltsvertrag ist grundsätzlich vergleichbar mit jedem anderen Dienstleistungsvertrag: Wer den Auftrag erteilt, der bezahlt. Wenn jedoch eine gerichtliche Entscheidung ergeht, dann trägt die Partei, die verloren hat, regelmäßig die Kosten. Nach meinen Informationen gilt das auch für eine außergerichtliche Einigung.

Wenn Herr Mustermann also einmal gezahlt hat, dann gilt das als eine solche außergerichtliche Einigung und er kann darauf warten, bis die Rechnung des Anwalts noch dazu kommt. Aber genau hier können Sie unter Umständen zum Gegenschlag ausholen, wenn sie nicht gezahlt haben oder nicht zahlen wollen:

Beauftragen Sie selbst einen Anwalt, der ihre Interessen vertritt. Mir ist aus verschiedenen Berichten von Betroffenen bekannt, dass folgendes Vorgehen zum Erfolg führte: Der Anwalt von Herrn Mustermann wendet sich an den Anwalt des Inkasso-Unternehmens und teilt mit, man möge die Beweise vorlegen, dass Herr Mustermann tatsächlich der Schuldner sei. Alsbald wird der Anwalt des Inkasso-Unternehmens mitteilen, dass man die Forderung nicht länger verfolge.

Er macht dies, weil ihm die Beweise fehlen, aber das wird er nicht zugeben. Ganz egal, ob er als Begründung angibt, dass es sich um ein bedauerliches Büroversehen handle oder sonst eine andere Begründung liefert: Tatsache ist, dass es eine außergerichtliche Einigung gegeben hat und die Gegenseite (also Inkasso) nun die Kosten (für den Anwalt von Herrn Mustermann) übernehmen muss.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich selbst einen solchen Fall noch nicht praktiziert habe und deshalb keine Gewähr auf Richtigkeit abgeben kann. Holen Sie sich deshalb eine verbindliche Auskunft des Rechtsanwalts ein, wenn Sie diesen Weg gehen wollen. Fragen kostet nichts, weshalb Sie zumindest diesen Vorschlag zur Prüfung unterbreiten sollten.

Ich schließe meinen Beitrag damit, dass diese Ausführungen auch sinngemäß für Bestellungen und Lieferungen im Internet gelten, weil die Vorgehensweise der Online-Händler, anschließend der Inkasso-Unternehmen und der in ihrem Auftrag handelnden Rechtsanwälte in vielen Fällen vergleichbar ist.