Donnerstag, 30. September 2021

Kritik am merkwürdigen Gebaren von (etlichen) Online-Händlern, Inkasso-Firmen und dem Zahlungsdienstleister KLARNA

Keine Prüfung bei der Bestellung, aber hernach mit Inkasso Bürger erschrecken.

Erinnern Sie sich: Zum Jahresende 2019 hatte ich einen Beitrag mit der Überschrift „Online-Händler machen es Betrügern immer noch viel zu leicht“ veröffentlicht (siehe https://jg-autor.blogspot.com/2019/12/online-handlern-machen-es-betrugern.html ). Nach mehr als fast zwei Jahren hat sich daran nicht viel geändert, lediglich, dass Inkasso-Unternehmen gnadenlos unbeteiligte Bürger belästigen, die nicht wissen, wie Ihnen geschieht. Auch wenn dies Insider vielleicht gar nicht so dramatisch empfinden, so darf nicht vergessen werden, was so eine Verkaufsstrategie, die vielleicht heute noch wirtschaftlich ist, bei der Person auslöst, die das Inkasso-Schreiben im Briefkasten vorfindet. Nicht zu vergessen die Arbeit, die die Strafverfolgungsbehörden damit haben und die sie von wichtigeren Aufgaben abhält.

Ich erlebe es im Kontakt mit Bürgern im polizeilichen Alltag immer wieder, dass bei vielen so ein Inkasso-Schreiben Schrecken, Sorgen und Ängste auslöst, was nicht sein müsste. Klar, dort wo Inkasso berechtigt ist, ist dies unvermeidlich und alternativlos. In den nicht wenigen Fällen, die mir bekannt wurden, gab es jedoch keine objektiven Beweise dafür, dass die Forderung berechtigt wäre. Trotzdem treten diese Inkasso-Unternehmen forsch und selbstbewusst auf und ohne Scham wird behauptet: „Sie haben die berechtigte Forderung unserer Mandantin immer noch nicht erfüllt …“.

Bevor ich ein recht bemerkenswertes Beispiel schildere, möchte ich nochmals betonen, dass ein Inkasso-Unternehmen nicht der Gerichtsvollzieher ist. Wenn der sich anmeldet (wobei es auch Gerichtsvollzieherinnen gibt, was nicht unerwähnt bleiben sollte), dann wird notfalls vollstreckt, weil die Sache (zumindest rechtlich) klar ist. Ein Inkasso-Unternehmen ist lediglich ein Dienstleister, der versucht, eine offene Forderung einzuziehen. Nicht mehr und nicht weniger. Bleibt dies erfolglos, dann folgt im nächsten Schritt oftmals ein Schreiben eines Rechtsanwalts, der das gleiche Ziel hat. Aber auch ein Inkasso-Anwalt ist zwar ein Organ der Rechtspflege, aber doch kein Gericht, auch wenn der Schritt zur Einleitung eines Mahnverfahrens dann oft nicht mehr weit ist. Aber auch dann reicht allein eine Behauptung eines Anwalts nicht aus, um eine Verurteilung zu erlangen, sondern dieser muss den Beweis der Richtigkeit seiner Behauptung erst einmal antreten.

Wenn Sie sicher sind, dass Sie nicht die Person sind, gegen die sich die Forderung berechtigt richtet, dann müssen Sie im Grunde erst dann reagieren, wenn Sie einen Mahnbescheid eines deutschen Gerichts bekommen. Aber auch dies ist noch kein vollstreckbares Urteil, welches die/den Gerichtsvollzieher(in) auf den Plan rufen könnte, denn bei Erlass eines Mahnbescheids hat das Gericht NICHT geprüft, ob die Forderung zurecht besteht oder nicht. Es reicht die Behauptung des vermeintlichen Gläubigers. Weil aber dies dem Gedanken entgegensteht, dass vor einem Urteil beide Parteien angehört werden müssen, liegt jedem Mahnbescheid ein Formular bei, auch welchem man Widerspruch einlegen kann. Wenn man dies getan hat, ist das Mahnverfahren beendet. Die bisher angefallenen Kosten trägt der Gläubiger.

Ganz wichtig: Wenn aber kein Widerspruch eingelegt wird, dann wird der Mahnbescheid rechtskräftig und kann vollstreckt werden, egal, ob sich später herausstellen würde, dass die Forderung unberechtigt sei. So sieht es die Rechtsordnung nun mal vor, weshalb auf den Mahnbescheid, der hierzulande in einem gelben Umschlag verschickt wird, unbedingt reagiert werden muss. Das möchte ich ausdrücklich nochmals betonen.

Die Unternehmen lassen sich ungern in ihre Geschäftsabläufe schauen. Dass diese so effizient als auch so günstig als möglich gestaltet werden müssen, wird bei näherer Betrachtung schon klar, denn schließlich besteht gerade beim Online-Handel ein enormer Preiskrieg, wo man sich gegenseitig im Preis unterbieten will, um Kunden an sich zu ziehen. Wie dies genau aussieht, kann auch ich nur erahnen, aber wenn ich die Puzzle-Teile an Erkenntnissen, die ich aus zahlreichen Strafverfahren gesammelt habe, nebeneinander lege, dann ergibt sich folgendes Bild, welches der Realität ziemlich nahe kommen könnte:

Keine oder nur oberflächliche Prüfung bei der Bestellung:

Die Bestellung im Internet bietet für das Unternehmen den Vorteil, dass der Kunde schon Aufgaben erledigt, die ansonsten eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Unternehmens erledigen müsste: Die Kundin oder der Kunde tippt ihre/seine Personalien, aber auch die Bankverbindung auf einem Online-Formular ein, sodass diese beim Händler bereits gespeichert sind und dem Computer zur weiteren Verwendung zur Verfügung stehen. Was der damit macht, kann ich selbstverständlich nicht sagen und vermutlich ist dies auch von Unternehmen zu Unternehmen verschieden.

Der Marktführer Amazon führt allen Anscheins nach keine oder zumindest kaum Prüfungen durch und beginnt bereits damit, die Bestellung auszuführen. Ich gehe davon aus, dass die Strategie für Amazon betriebswirtschaftlich wesentlich günstiger ist, nicht aufwendig zu prüfen und damit Betrügern Tür und Tor zu öffnen, weil die überwiegende Mehrzahl der Kunden ehrlich ist und wahrheitsgemäß die Daten eingibt. Der Schaden ist also (noch) geringer, als wenn man für diese Aufgabe Mitarbeiter*innen beschäftigen müsste, die jeden Monat ihren Lohn wollen und damit dem Unternehmen Geld kosten.

Dies geht sogar so weit, dass mit den Personalien einer Person, die bereits einen bestehenden Amazon-Account hat, problemlos ein zweiter Account angelegt werden kann, was ich aus zahlreichen Anzeigen, die bei mir erstattet worden sind, sicher weiß. Natürlich muss ich an dieser Stelle anmerken, dass meine Ausführungen immer den Zusatz haben „Stand heute“, denn selbstverständlich können die Unternehmen ihre Strategie jederzeit ändern, was durchaus wünschenswert wäre.

Ähnliches gilt für einen weiteren Riesen, der im Gegensatz zu Amazon aber unzählige Filialen hat, nämlich LIDL. Mit der neu eingeführten LIDL-Bezahl-App funktioniert es ähnlich, aber darüber schreibe ich ausführlich in einem anderen Beitrag.

Keine oder nur oberflächliche Prüfung bei der Auslieferung:

Bestellt ist noch nicht geliefert. Wie ich schon in zahlreichen Beiträgen zum Ausdruck gebracht habe, ist ein(e) Betrüger(in) erst dann am Ziel, wenn man die bestellte Ware auch erhalten hat und später nicht mehr nachvollzogen werden kann, wer sie tatsächlich bekommen hat. Längst ist es nicht mehr notwendig, den Aufwand zu betreiben, die Postbotin oder den Postboten abzufangen und sich dann unter falscher Namensangabe das Päckchen aushändigen zu lassen.

Viele Sendungen erfolgen nämlich gar nicht mehr über die Deutsche Post AG bzw. über DHL, sondern über Spediteure wie Hermes, UPS oder DPD, um nur drei davon zu nennen. Von diesen Dreien weiß ich gewiss, dass sie sogenannte Paket-Shops unterhalten, wo die Ware bequem abgeholt werden kann. In Anbetracht der Tatsache, dass viele der Personen, die die Pakete ausliefern, 6 Tage in der Woche (also auch an Samstagen) mitunter unter Mindestlohn arbeiten müssen und dass vermutlich auch die Öko-Bilanz beim Versandhandel nicht gerade günstig ausfällt, sind Paketshops grundsätzlich begrüßenswert.

Der Knackpunkt ist jedoch der, dass bei einer Abholung eine Identitätsprüfung (Stand heute) immer noch nicht oder nur oberflächlich durchgeführt wird. Es reicht eine gefälschte Vollmacht und schon wird die Sendung ausgehändigt. Ausweisdaten werden, so behaupten zumindest die Spediteure auf etliche Anfragen, die ich dort gemacht hatte, aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht erhoben bzw. zumindest nicht gespeichert. Für mich ist das eine fadenscheinige Begründung, denn eine Einwilligungserklärung der oder des Betroffenen (Abholer) würde dies trotz datenschutzrechtlicher Bestimmungen möglich machen. Aber vermutlich ist auch dies betriebswirtschaftlich teurer und dem Spediteur kann es im Grunde egal sein, wer das Paket bekommen hat. Hauptsache, es ist ausgeliefert und die Aufgabe ist erfüllt. Die Betrügerin oder der Betrüger konnte aber die Sendung quasi anonym, also ohne Risiko einer Strafverfolgung, entgegennehmen.

Keine oder nur mangelhafte Vernetzung der Beteiligten:

Das fehlende Interesse vieler Online-Händler an einer zureichenden Identifizierung ihrer Kunden liegt möglicherweise auch daran, dass die Aufgaben bei einem Online-Einkauf noch weiter gesplittet sind, sodass es sogar dem Händler höchstwahrscheinlich egal sein kann, ob alles mit rechten Dingen abgelaufen ist. Ich will dies gerne erläutern, worauf ich meine Vermutung stütze:

Kennen Sie KLARNA? Es handelt sich dabei um ein Unternehmen mit Sitz in Schweden (laut Impressum sogar um eine Bank), welches Zahlungen von Online-Einkäufen per Rechnung anbietet. Klarna verkauft aber selbst gar nichts, sondern kümmert sich nur um die Bezahlung für Käufe, die bei anderen Online-Händlern getätigt worden sind. Sicherlich hat die oder der Eine schon von Klarna gehört oder auch schon einen Einkauf über Klarna bezahlt. Darum brauche ich dies vermutlich nicht weiter erläutern. Wenn nicht, dann verweise ich für Einzelheiten auf das Internet.

Der Punkt, auf welchen ich hinaus möchte, ist nämlich der, dass es nicht nur dem Spediteur (also Hermes, UPS, DPD, etc.) egal sein kann, wer das Paket bekommt, sondern auch dem Händler, ob es überhaupt bezahlt worden ist. Wie bereits erwähnt, habe ich keine sicheren Erkenntnisse darüber, wie die einzelnen Vorgänge genau vonstattengehen. Meine als polizeilicher Ermittler gemachten Erfahrungen verdichten jedoch den Verdacht, dass der Händler von KLARNA sein Geld schon nach Abschluss der Bestellung bekommt, abzüglich einer entsprechenden Provision, mit welcher wiederum Klarna das Geld verdient.

Dafür spricht zum einen, dass Klarna das Mahnverfahren betreibt und dabei behauptet, dass die Forderung an sie übergegangen sei. Da es sich bei Klarna nicht um ein typisches Inkasso-Unternehmen, sondern einen Zahlungsdienstleister handelt, gehe ich davon aus, dass meine Annahme richtig ist. Auch fiel mir immer wieder auf, dass viele betroffenen Online-Händler kaum Interessen daran zeigten, Betrugsfälle aufzuklären, wenn ich entsprechende Anfragen gestellt habe. Warum auch, wenn man sein Geld schon hat, wäre für mich eine plausible Erklärung. Man mag es nicht glauben, aber bei vielen Händlern habe ich die Antwort bekommen, man wolle aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht antworten.

Dies ist aus meiner Sicht zunächst unverständlich. Da wurde ein Online-Händler durch Betrug abgezockt und die Gefahr, dass so etwas immer wieder passiert, ist nicht von der Hand zu weisen, aber dann kommt so eine Reaktion. „Die Daten der Kunden seien ihnen sehr wichtig und schützenswert“, wird geantwortet. „Ist ein Betrüger noch ein Kunde?“, frage ich mich dann. „Hat das Unternehmen gar kein Interesse daran, dass die Tat aufgeklärt wird?“, ist dann die nächste Frage, die ich mir stelle. Eine plausible Antwort darauf finde ich nur in der Annahme, dass der Händler sein Geld schon bekommen hat und deshalb auch der Betrüger für ihn ein (zahlender) Kunde gewesen ist.

Doch die Sachverhalte können sich noch viel komplexer darstellen, als man erahnen mag. So erfuhr ich vor kurzer Zeit im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, wie wenig die beteiligten Firmen untereinander vernetzt sind. Eine Person hatte bei mir Anzeige erstattet, weil sie Mahnungen von Klarna bekommen hatte. Daraufhin griff diese Person zum Telefon und versuchte, den Sachverhalt zu klären. Schon bald war klar, dass ihre Personalien von unbekannter Täterschaft für eine Bestellung missbraucht worden sind. Lediglich eine andere E-Mail-Adresse hatte sich die Täterschaft zugelegt und da die Kommunikation via E-Mail gelaufen war, hatte die Person, deren Personalien missbräuchlich verwendet worden waren, davon nichts mitbekommen.

Im Laufe der Kommunikation mit dem Händler muss jedoch die E-Mail-Adresse korrigiert worden sein, was nicht üblich sein muss. Vielleicht geschah dies auch deshalb, weil ein Teil der Kommunikation nach Bekanntwerden der Tat über die E-Mail-Adresse der geschädigten Person gelaufen war. Wie dem auch sei: Diesem Umstand war zu verdanken, dass neue, ganz erstaunliche Erkenntnisse bekannt geworden waren:

Offenbar hatte die Täterschaft die Bestellung über ein großes Vergleichsportal, welches viel Werbung betreibt und deshalb den meisten Leuten bekannt ist, vorgenommen. Während aber die Firma, die das Vergleichsportal betreibt, die Bestellung nicht selbst ausgeführt, sondern an einen anderen Händler weiter gegeben hat, sollte sich Klarna um die Begleichung der Rechnung kümmern. Anscheinend hatte der Händler, welcher liefern sollte, jedoch damit Probleme, was möglicherweise der aktuellen Situation aufgrund der Corona-Pandemie geschuldet gewesen war. Deshalb wurde der Auftrag nach einer gewissen Zeit an einen anderen Händler weiter gegeben, der liefern konnte. Dies erfuhr die geschädigte Person (also deren Personalien missbraucht worden waren) nur deshalb via E-Mail, weil offenbar in der Datenbank nun ihre richtige E-Mail gestanden war. So konnte die Lieferung noch gestoppt werden und die Täterschaft ging leer aus.

Zu diesem Zeitpunkt, wo die Ware überhaupt noch nicht geliefert worden war, hatte Klarna bereits das gerichtliche Mahnverfahren angedroht, was für mich nur eine Schlussfolgerung zulässt, dass Klarna über die Lieferschwierigkeiten des Händlers nicht informiert worden war. Dies alles könnte uns als Verbraucher egal sein, wenn nicht unbeteiligte Bürger mit Mahnschreiben belästigt werden würden, was ich für unerträglich halte.

Immerhin mache ich die Erfahrung, dass die Mahnverfahren gestoppt werden, wenn die Bürgerin bzw. der Bürger eine entsprechende Anzeige erstattet hat. Da jedoch aufgrund der Umstände, die ich gerade beschrieben habe, so gut wie keine Ermittlungsansätze vorhanden sind, wird die Polizei (und nachfolgend die Staatsanwaltschaft) nur deshalb bemüht, um eine entsprechende Bescheinigung zu erlangen. Da aber die Strafprozessordnung fordert, dass jede Anzeige entsprechend bearbeitet werden muss, tragen die Lasten der für die Unternehmen so effizienten Vorgehensweise letztendlich der Staat und damit die Steuerzahler. Weiter so? Wir werden sehen.