Leseprobe Jessica und die Odenwaldbande, Episode 4

 „Ich habe mir den Freitag freigenommen“, verkündete Krause seiner Jessica, als er am Abend wieder vom Dienst nach Hause kam. „Wir könnten vielleicht schon in der Nacht auf den Freitag fahren, dann hätten wir einen Tag länger im Süden.“ Jessica war durch diese Ankündigung freudig überrascht, doch dann fragte sie nach: „Aber wo schlafen wir die eine Nacht, wenn wir früher fahren?“ Krause beruhigte sie. Ich habe heute viel telefoniert und es wäre kein Problem, früher zu fahren.“ Jessica begann zu strahlen. „Ich kann es kaum erwarten, endlich einmal ans Mittelmeer zu kommen. Ich freue mich schon die ganze Zeit darauf, dass wir beide fahren.“

„Ich doch auch“, erwiderte Krause. „Irgendwie macht es mein Glück, das ich Dich gefunden hatte, noch perfekter“, gestand er ihr. Jessica trat auf ihn zu und legte beide Arme auf seine Schulter und um seinen Hals. „Ich wäre auch so mit Dir glücklich, aber so ein Trip in den Süden macht mich noch glücklicher“, sagte sie, bevor sie ihn küsste. Dann aber wurde sie wieder ein Stück weit ernster: „Es gibt Neuigkeiten, die ich Dir sagen möchte.“ Krause sah sie erwartungsvoll an und meinte nur: „Ich bin ganz Ohr.“

„Erinnerst Du Dich noch an die Chantal, die vermeintlich entführt wurde?“, begann Jessica ihren Bericht mit einer Frage. Krause nickte. „Ja, ich erinnere mich. Du hast Dich ja nochmals mit dem Mädchen getroffen“, bemerkte er. „Und ich habe ihr von dem Fall mit Klaus-Dieter erzählt, natürlich ohne, dass ich ihn namentlich erwähnt habe. Ihr Cousin scheint auch so ein Freak zu sein, der sich im Web gut auskennt und anscheinend hat er auch Freunde, die ebenso ticken wie er. Langer Rede kurzer Sinn: Schau Dir mal diese Fotos an und sage mir, ob Du was davon erkennst?“

Während sie redete, hatte sie ihr Smartphone in die Hand genommen und zeigte ihm, nachdem sie kurz danach gesucht hatte, ein Bild, welches besagte Pauline im Freien auf einem Pferd zeigte. Krause sah sich das Bild an. „Es gibt noch ein paar mehr“, sagte ihm Jessica, sodass er sich auch diese Bilder ansah, wobei er begann, ungläubig den Kopf zu schütteln. „Das könnte die Koppel sein, die zur Auberge gehört“, meinte er schließlich. „Zumindest vor zwei Jahren, als ich zum letzten Mal unten war, hatte die Wirtin zwei Pferde, wobei eines gescheckt war. Das könnten die Pferde von Pia sein“, meinte er.

Dann gab er ihr das Smartphone wieder zurück und fragte: „Wie kommst Du an die Bilder?“ Jessica grinste. „Chantal hat sie mir geschickt. Nachdem ich ihr von unserem Vorhaben berichtet habe, muss sie wohl ihren Cousin und dessen Freunde angestiftet haben, uns zu helfen. Ich hatte ihr gesagt, dass wir noch nach Hinweisen suchen, wo sie sich aufhalten könnte. Das war für die jungen Leute offenbar eine sportliche Herausforderung, danach zu suchen. Die haben den Spieß ganz einfach umgedreht. Nachdem sie sich einen Fake-Account mit dem Namen ‚Egon’ besorgt hatten, ist es ihnen anscheinend gelungen, mit ihr Kontakt aufzunehmen.“

Krause staunte und konnte kaum glauben, was sie ihm berichtete. „Anscheinend haben sie so dick aufgetragen, dass Pauline einfach anbeißen musste. Und dann haben sie verlauten lassen, dass der angeblich reiche Single-Mann Egon nur eine Frau sucht, die auch reiten kann, weil dies seine Leidenschaft sei. Und schließlich hat Egon dies sogar zur Bedingung gemacht, dass sie ihm Bilder hoch zu Ross schickt, sonst sucht er sich eine andere“, berichtete Jessica. „Et voila, da sind sie.“

Krause konnte es immer noch nicht glauben, was er da sah. „Gibt es schon die ersten Geldforderungen?“, fragte er nach. Jessica schüttelte den Kopf. „Nein, offenbar haben sie auch hier zuerst die Initiative ergriffen, denn ‚Egon’ hat ihr von sich aus Geld in Form eine Prepaid-Visacard angeboten. Bargeld schicken sei ihm zu umständlich. Offensichtlich zögert Pauline noch, weil sie ihm eine Adresse nennen muss, wohin er die Karte schicken kann. Man darf gespannt sein, ob sie noch anbeißt, aber er hat in Aussicht gestellt, darauf 3.000 Euro einzuzahlen, über die sie verfügen könnte. Mal sehen, ob bei ihr auch der Prozess ‚Gier frisst Hirn’ einsetzt?“

„Mein Onkel hat schon früher immer gesagt: ‚Mit Gaunern fängt man Gauner’ und offenbar hat er dabei Recht gehabt. Ich bin begeistert über die Strategie, die die jungen Leute da entwickelt haben. Wenn wir zurück sind, dann musst sie einmal einladen“, meinte Krause. Jessica nickte. „Das hätte ich Dir sowieso vorgeschlagen.“

„Ich habe aber auch Neuigkeiten“, fing nun er an zu berichten. „Dieser Hakem scheint kein Unbekannter zu sein, denn ich habe heute mit dem Kollegen telefoniert, der Caros Fall bearbeitet. Ich habe ihm von Caros Ausflug vertraulich berichtet und ihm natürlich gleich gesagt, dass diese Info nicht für die Akten sei, weil ich ansonsten von meinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache. Aber das wird nicht notwendig sein, denn der Kollege weiß sehr gut mit Informationen umzugehen. Sie prüfen noch, ob sie Caro nicht als Lockvogel einsetzen wollen, was ihr Vorteile in ihrem Verfahren bringen würde.“

„Wäre das nicht zu gefährlich?“, fragte Jessica nach. „Ein Risiko ist immer dabei. Aber noch ist das nicht spruchreif und dann hat er versprochen, dass ich vorher in die Entscheidung mit eingebunden werde, wenn es soweit wäre. Ich könnte sogar den Einsatz mitmachen und letztendlich muss das Caro selbst entscheiden. Aber sie könnte unter Umständen aus ihrem Verfahren straffrei oder zumindest mit einem blauen Auge davon kommen“, meinte Krause. „Und was den Mädchenhandel mit den Marokkanerinnen betrifft, hat mich ein Kollege vom Dezernat Organisierte Kriminalität kontaktiert, denn es gab zwar diesbezüglich schon verdächtige Informationen, aber man hatte noch keinen Namen dazu. Falls Caro aussagen soll, dann nur, wenn ihr vorher Vertraulichkeit zugesichert wurde.“

„Glaubst Du, dass wir angesichts dieser Umstände Caro hier allein lassen können?“, fragte Jessica besorgt nach. Krause zögerte mit der Antwort, aber dann meinte er: „Ich denke schon, dass ihr der Ausflug zu denken gegeben hat. Aber ich spreche nochmals mit ihr, bevor wir fahren. Mitnehmen können wir sie schlecht, denn ich glaube nicht, dass Du so cool bleibst, wenn sie, wie ich sie kenne, jeden Tag nackt oder fast nackt durch unser Appartement läuft.“ Jessica lachte und schüttelte den Kopf. „Du hast Recht, so stelle ich mir unsere ersten Flitterwochen nicht vor“, meinte sie. „Rede nochmals mit ihr, dass wir am Donnerstag in der Nacht endlich fahren können.“


***


Krause war auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Als er wieder wach wurde, suchte er zuerst nach Orientierung. „Wo sind wir?“, fragte er Jessica. „Kurz vor Lyon“, antwortete diese. Krause sah auf die Uhr. „So weit schon. Dann hast Du Dich wohl kaum an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten, die in Frankreich gilt“, mutmaßte er. „Entspann Dich, die Autobahn war so gut wie leer. Da konnte ich gut schneller fahren“, verteidigte sie sich. „Wenn Du auf einen Parkplatz fährst, dann können wir Fahrerwechsel machen“, schlug er vor. „Ich fahre gerne weiter, das macht mir nichts aus“, antwortete sie.

„Wie kommt es, dass Du so gerne, aber auch so gut Auto fährst?“, fragte er sie. Jessica lächelte und meinte: „Ist Dir das auch schon aufgefallen?“ Krause nickte. „Ich hatte bis vor einem Jahr ein eigenes Auto. Ich habe deswegen schon als Schülerin in den Ferien gearbeitet, wo andere in den Urlaub fuhren. Deshalb war ich auch noch nie in Frankreich gewesen, weil ich mir beides nicht leisten konnte. Ein eigenes Auto war mir einfach wichtiger.“ – „Und Du warst tatsächlich noch nie in Frankreich, obwohl Du Französisch-Leistungskurs vor dem Abi hattest?“, fragte Krause nach. „Nein, von einigen Kurzausflügen in das Elsass und vor ein paar Tagen nach Lothringen einmal abgesehen“, antwortete Jessica und fügte hinzu: „Aber das ändern wir ja gerade. Ich bin wirklich gespannt auf das Mittelmeer.“

„Du wirst es lieben“, antwortete Krause. „Zumindest habe ich es immer geliebt, auch wenn mein Französisch bedeutend schlechter als deines ist. Ich konnte mich immer nur mit Mühe und Not verständigen und wenn die Franzosen schneller sprachen, dann habe ich nichts mehr verstanden. Aber jetzt habe ich ja Dich“, meinte er lächelnd. Jessica sah ihn zwar nicht an, weil ihr Blick als Fahrerin immer noch vorne gerichtet war, aber dann meinte sie: „Ich werde Dir aber nur übersetzen, wenn Du mir signalisierst, dass Du nichts verstanden hast. Ich vermute nämlich, dass Du mehr verstehst, als Du denkst.“

„Dafür kenne ich mich da unten ziemlich gut aus, denn ich war schon sehr oft dort“, antwortete Krause. „Mit Deiner Frau?“, fragte Jessica nach. „Ja, mit Dagmar. Und nach ihrem Tod einmal allein, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber richtig geklappt hat es leider nicht, weil sie mir fehlte“, antwortete Krause. „Und trotzdem fährst Du mit mir jetzt dorthin?“, fragte Jessica. „Ja. Auch wenn wir mit unserem Vorhaben, dort Recherchen zu betreiben, eigentlich eine wahrscheinlich unmögliche Mission eingehen, so möchte ich den Ort wieder mit meiner Frau erleben. Und das bist bekanntlich jetzt Du“, meinte er. Jessica antwortete nicht gleich, sodass Krause ergänzte: „Ich möchte wieder gute Erinnerungen an den Ort mitnehmen.“

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