Scam – wenn das Vertrauen argloser Opfer missbraucht wird.

Zumindest die ältere Generation dürfte sie noch alle kennen: Die Märchen der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die im 19. Jahrhundert verfasst worden sind und seither Generationen von Kindern vorgelesen worden sind. Diese Geschichten haben wenig Bezug zur Realität, was man schon daran erkennt, dass dort die handelnden Figuren sich zwar wie Menschen benehmen und auch menschliche Gestalt angenommen haben, aber eigentlich Tiere sind. So wie der Wolf, dem in Grimms Märchen regelmäßig die Rolle des Bösewichts zukommt.

Zwei Märchen fallen mir da spontan ein, nämlich das Märchen vom „Wolf und den sieben jungen Geißlein“ als auch das Märchen von „Rotkäppchen und dem bösen Wolf“. In beiden Märchen gelingt es dem Wolf, seine Opfer so zu täuschen, dass sie arglos sind. Wir erinnern uns: Beim erstgenannten Märchen war es so, dass die Mutter Geiß außer Haus war und die 7 Kinder nicht die Tür aufmachen sollten, damit sie nicht vom Wolf gefressen werden sollten. Erst als der Wolf Kreide gefressen hatte und damit eine hohe Stimme wie die der Mutter bekam und seine schwarze Pfote in Mehl getaucht hatte, dass sie weiß wie die der Mutter erschien, da öffneten ihm die Geißlein die Tür und er konnte sie, bekanntlich mit einer Ausnahme, alle verschlingen.

Bei Rotkäppchen war es ähnlich, welches die Großmutter besuchen wollte, die in einem Häuschen im Walde lebte und deshalb zum Opfer wurde, weil sich der Wolf als Großmutter verkleidete und somit das Mädchen täuschen konnte. Dabei war dieses, bevor das Unglück geschah, sogar etwas misstrauisch geworden, denn ihr war aufgefallen, dass die Großmutter ganz anders aussah („Großmutter, warum hast Du so große Augen?“). Glücklicherweise enden beide Märchen mit einem guten Schluss, weil die Opfer wieder aus dem Bauch des Wolfes befreit werden konnten.

Jetzt stellen Sie sich diese beiden Märchen, aber leider ohne das gute Ende, im Zeitalter des modernen Internets in Form der Sozialen Medien vor und dann haben Sie eine Vorstellung davon, was Scam oder Scamming bedeutet und warum immer wieder Menschen diesbezüglich zu Opfern werden. Dabei befindet sich der Tatort in fast allen Fällen in den Sozialen Medien, wobei ich in diesem Zusammenhang nicht nur Facebook, Twitter und Co. verstehe, sondern auch Dating-Portale als auch die guten alten, teilweise in Vergessenheit geratenen Foren meine. Oder um es anders zu umschreiben: Überall dort, wo sich Menschen über das Internet kennen lernen und austauschen können.

Wenn Sie in Sozialen Medien nicht verkehren, dann sind Sie vor dem „bösen Wolf“ sicher, aber ich möchte Sie trotzdem bitten, meinen Ausführungen weiter zu folgen. Ich nenne Ihnen dazu auch gerne den Grund: In den eingangs genannten Märchen wären die Opfer rettungslos verloren gewesen, wenn nicht andere auf die Tat aufmerksam geworden wären und die Opfer wieder befreit hätten. In einer ähnlichen Lage sind Scam-Opfer, die sich deshalb selbst nicht helfen können, weil sie den bösen Wolf immer noch für die Mutter Geiß halten, um bei dem Märchenvergleich zu bleiben. Hier bedarf es der Aufmerksamkeit von Außenstehenden, um die Opfer zumindest vor noch größerem Schaden zu bewahren.

Alle Fällen, die in die Kategorie Scam fallen, haben gewisse Merkmale, die immer gleich oder ähnlich sind: Täterschaft und Opfer lernen sich in der virtuellen Welt kennen. Ich benutze dabei gerne den Begriff Täterschaft, denn es kann zwar ein Einzeltäter sein, aber oftmals handeln mehrere Täter diesbezüglich gemeinschaftlich, ohne dass dies das Opfer erkennt. Wie so etwas aussehen kann, beschreibe ich in der 4. Episode der Reihe „Jessica und die Odenwaldbande“, welche im Herbst 2019 erscheinen wird. Doch zurück zu der Beschreibung, wie Scam grundsätzlich funktioniert:

Die Täterschaft benutzt natürlich eine Legende, die stimmig sein muss. Besonders gut ist so eine Legende, wenn sie in Teilen nachprüfbar ist, wie ich das in der Geschichte der „Witwe des Politikers“ beschrieben habe, welche Sie auf dieser Website lesen können. Im modernen Zeitalter reicht es jedoch vielfach schon aus, wenn glaubhafte Bilder ausgetauscht werden. Ich hatte einen Fall, da gab sich die Täterschaft als eine US-Soldatin aus, die in einem der Krisengebiete, wo die USA militärisch aktiv ist, stationiert sei. Dazu hatte die Täterschaft eine Facebook-Site angelegt, wo zahlreiche Bilder von US-Soldaten in verschiedenen Situationen veröffentlicht waren und immer wieder eine junge Frau, teilweise in Uniform, aber oftmals auch in Zivil, abgebildet gewesen war.

Die Täterschaft ist dabei oftmals sehr geduldig, denn es gilt, Vertrauen aufzubauen. Dies schafft eine gewisse Gewöhnung an die Situation, was dazu führt, dass das Opfer von Tag zu Tag argloser wird. Man kennt sich zwischenzeitlich, so denkt und fühlt zumindest das Opfer, welches dabei übersieht, dass es im Grund gar nichts sicher von dem Anderen weiß. Und das Opfer würde etwas vermissen, wenn diese virtuelle Beziehung abrupt enden würde. Waren es in früheren Zeiten die romantisch geschriebenen Liebesbriefe, die Frauenherzen zum Glühen gebracht haben, so sind dies heute ganze Unterhaltungen via WhatsApp, dem Facebook-Messenger oder ähnlichen Medien, die den gleichen Zweck verfolgen: Vertrauen und Zuneigung zu schaffen.

Dabei muss es nicht immer die Liebe sein, was das Beispiel der „Witwe des Politikers“ beweist, aber häufig ist dies doch der Fall, wobei nicht nur Frauen, sondern auch Männer zu Opfern werden können, auch wenn die Vorgehensweise der Täterschaft sich nach dem Geschlecht der Opfer richtet. Bei den mir bekannt gewordenen Fällen sind es eher die klassischen Liebesbriefe in moderner Form, die Frauenherzen höher schlagen lassen, während bei den Männern als Opfer der Sex eine größere Rolle spielt. Dabei ist den Opfern, egal welchen Geschlechts, oftmals eines gemein: Sie sind oft in einer Situation, wo sie keinen Partner haben und sich, aus welchen Gründen auch immer, schwer tun, einen neuen Partner zu suchen.

Wie ich bereits erwähnt habe, ist die Täterschaft dabei sehr geschickt, eine passende und glaubhafte Legende aufzubauen, um bei dem Opfer Vertrauen und Zuneigung zu schaffen. Wenn die Frau, oftmals mittleren Alters, das Opfer sein soll, so stellt sich die Täterschaft gerne als einen erfolgreichen und dazu noch gutaussehenden Geschäftsmann dar, der durch den tragischen Tod seiner geliebten Frau einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, aber der geschäftlich so eingebunden ist, dass er keine Zeit hat, sich um eine neue Beziehung (außerhalb der virtuellen Welt) zu kümmern, weil er noch eine minderjährige Tochter hat, die bei den Großeltern lebt und die den Verlust der Mutter auch noch nicht verwunden hat. Dies erklärt glaubhaft, warum dieser scheinbare Superman die virtuelle Welt für die Suche einer neuen Beziehung nutzt.

Mit dieser Legende lässt sich sehr gut testen, wie viel Empathie die Frau (das spätere Opfer) hat, was für den späteren Verlauf der Tat von Bedeutung sein kann. Denn je öfter der scheinbare Superman schreibt, dass er vor allem eine liebevolle Mutter für seine Tochter sucht und die Frau darauf antwortet, dass sie sich diese Rolle vorstellen könne, dann entsteht gedanklich eine zweite Beziehung zu dieser virtuellen Tochter und bringt damit die Frau in die missliche Lage, dass sie bei Abbruch der Beziehung ein Kind enttäuschen würde, welches sich schon so darauf gefreut hat, endlich wieder eine Mutter zu bekommen. Wie sie sehen, steckt dahinter sehr viel psychologische Raffinesse, die erklärt, warum es immer wieder Fälle gibt, wo Menschen diesbezüglich zu Opfern werden.

Wie bereits erwähnt, läuft die Handlung häufig anders ab, wenn Männer zu Opfern werden. Hier benutzt die Täterschaft gerne als Legende das Bild einer attraktiven, aber ansonsten schutzbedürftigen Frau, die im Ausland lebt und die alles dafür tun würde, um dauerhaft in Deutschland leben zu können. Das überzeugt manchen Mann, der, aus welchen Gründen auch immer, keine Möglichkeit sieht, eine Partnerin zu finden. Um die Attraktivität der (vermeintlichen) Frau zu steigern, werden gerne Bilder und Videos verschickt, wo nach und nach auch die letzten Hüllen fallen. Das (männliche) Opfer realisiert, dass diese Frau eigentlich ein Traum darstellt, weil er genau weiß, dass er auf anderem Wege mit solch einer Frau nie Sex haben würde. Und wer wacht schon gerne aus solch einem Traum auf?

Was früher der Heiratsschwindel war, ist heute der Romance-Scam oder der Love-Scam in der virtuellen Welt, allerdings mit gewaltigen Unterschieden, nämlich dass es früher der klassische Heiratsschwindler wesentlich schwerer hatte: Er konnte sich nur um ein Opfer gleichzeitig kümmern, er musste wesentlich mehr finanzielle Mittel aufwenden und er musste persönlich handeln, sodass das Opfer wenigstens wusste, wie er aussah. All das braucht der moderne Heiratsschwindler alias Love-Scammer heute nicht mehr bzw. nicht mehr in diesem Ausmaß.

Gerade, weil sich die Täterschaft parallel um mehrere Opfer gleichzeitig kümmern kann, kann sie sich mit der Phase ausreichend Zeit lassen, wo es nur um das Kennenlernen geht, um eine vernünftige Vertrauensbasis zu schaffen. Doch irgendwann passieren dann (natürlich nur virtuell) irgendwelche Ereignisse, wo das Opfer um seine Hilfe gebeten wird. Superman ist geschäftlich im Ausland und wurde überfallen und all seiner Habe beraubt. Oder die attraktive Frau aus dem Ausland möchte endlich ihren Helden in Deutschland besuchen, nachdem sie sich schon so sehnt, aber ihr fehlt für die Reise das Geld. Genau an dieser Stelle entscheidet es sich, ob das potentielle Opfer wirklich um Opfer wird oder nicht.

Denn wenn erst die erste Zahlung erfolgt ist, dann geht die Geschichte unendlich weiter, weil das Opfer partout aus dem Traum nicht erwachen möchte, welchen es monatelang so schön geträumt hat. Wie so eine Geschichte aussehen kann, können Sie in dem Beitrag „Ein Fall von Love-Scam“ nachlesen. Je schöner der Traum war bzw. noch ist, desto schwerer fällt es dem Opfer, Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden, weil diese sich in seiner Vorstellungskraft vermischen. Gerade in dieser Phase bedarf es des Eingreifens von Außenstehenden, die einen schärferen Blick auf die Situation haben, um den Schaden nicht noch größer werden zu lassen.

Was den Schaden betrifft, so sprechen wir von vier- bis fünfstelligen Euro-Beträgen, wenn das Opfer über diese Mittel verfügt. Doch wenn die Täterschaft erkennt, dass das Opfer über diese finanziellen Mittel nicht verfügt und auch nicht bereit ist, diese Beträge bei Freunden und Verwandten zu leihen, dann wird es für die Täterschaft noch nicht unbrauchbar, denn es gibt noch andere Möglichkeiten, Profit aus der Tat zu schaffen.

Mir sind mehrere Fälle begegnet, wo das Opfer dann als sogenannte(r) Warenagent(in) missbraucht wurde. Sie haben Warensendungen angenommen, die auf ihren Namen bestellt worden sind. Diese Sendungen haben sie dann postwendend ins Ausland weiter verschickt, natürlich in guten Glauben, lediglich einen Gefallen zu tun. Mehr dazu in meinem Beitrag über Finanz- und Warenagenten. 


 

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