Verschollen in der Türkei (Romance- oder Love-Scam-Fall)

Einen Fall des Romance- oder Love-Scam, welchen ich vor Jahren selbst bearbeitet habe, schildere ich als Teil der Story in dem ersten Buch meiner Krimi-Reihe "Jessica und die Odenwaldbande". 

 

Es handelte sich zwar sowohl in dem tatsächlichen, als auch in dem von mir erzählten Sachverhalt um einen etwas a-typischen Fall, aber nur was das Ende betrifft. Der Anfang ist typisch für solche Fälle und leider fallen immer wieder Menschen darauf rein. Ich lade Sie deshalb zu einer Leseprobe aus dem Buch ein, die hier folgt:

 

„Vielleicht kann ich Ihnen helfen, wenn Sie möchten?“, fragte Jessica. Die Frau sah Jessica fragend an und erwiderte: „Ja, kennen Sie sich mit Internet-Kriminalität aus?“ Jessica nickte. „So ziemlich, ich arbeite seit einigen Monaten an dem Thema, weil ich darüber schreiben will.“ – „Dann sind Sie Journalistin?“, war die nächste Frage der Frau. Jessica nickte. „Wollen wir zusammen etwas trinken gehen?“ Die Frau zögerte kurz, aber dann willigte sie ein.

„Ich kenne Sie zwar erst seit ein paar Minuten, aber vielleicht redet es sich von Frau zu Frau sowieso besser. Ich heiße Martina.“ Jessica nickte und stellte sich ihrerseits vor. „Aber Sie müssen fahren, denn ich bin mit dem Roller hier und mein Tank ist fast leer.“ Martina horchte auf. „Das ist aber mutig von ihnen oder haben Sie soviel Vertrauen in die Polizei als Freund und Helfer, dass Sie hoffen, hier Benzin zu bekommen?“ Jessica schüttelte den Kopf. „Nein, das nicht. Aber hier kann ich den Roller stehen lassen. Eine Freundin will mir später Benzin vorbei bringen, aber die kann erst in einer Stunde.

Martina begann, plötzlich doch zu zögern. „Hätten Sie morgen auch Zeit? fragte sie. „Ja“ antwortete Jessica etwas überrascht, „gibt es ein Problem?“ Martina wartete kurz mit ihrer Antwort und sagte dann: „Ja, das gibt es. Ich hätte höchstens auch nur eine Stunde Zeit, aber ich glaube, dass ich Ihnen gerne ausführlich meine Geschichte erzählen möchte und da hätte ich gerne mehr Zeit, wenn Sie verstehen.“ Jessica nickte. „Das verstehe ich gut. Wann würde es Ihnen morgen passen?“ Martina überlegte kurz: „Wie wäre es um 14.00 Uhr?“

Jessica nickte erneut. „Das passt. Und wo sollen wir uns treffen?“ Martina überlegte. „Kann ich Sie abholen? fragte sie dann. „Ich schreibe Ihnen meine Adresse und meine Handynummer auf“ und während sie dies noch sagte, kramte sie auch schon in ihrer Tasche und zog einen Notizblock heraus, worauf sie die Informationen schrieb. Sie riss das Papier ab und übergab es Martina. „Kann ich zur Sicherheit auch ihre Handynummer haben?“ fragte sie anschließend. Martina nahm ihrerseits ihre Handtasche und zog eine Visitenkarte heraus. „Das bin ich“ sagte sie, indem sie die Karte Jessica übergab.

[...]

Es war schon nach zehn Uhr, als sie durch ihr Smartphone geweckt wurde. Martina rief tatsächlich an. Jessica war mit einem Schlag wieder wach. Sie hatte Wort gehalten und rief an, um sich mit ihr zu verabreden. „In einer Stunde passt mir“, antwortete Jessica. „Können Sie mich abholen, ich gebe Ihnen meine Adresse.“ Martina war einverstanden und Jessica war nun endgültig wach und begann, sich auf das Treffen vorzubereiten.

„Was wird Sie mir erzählen?“, grübelte sie. „Kann ich daraus eine Story machen?“, war der zweite Gedanke, der sie beschäftigte. Sie war richtig darauf gespannt, was ihr die Frau zu erzählen hatte und die Spannung ließ erst nach, als sie sich etwa eine halbe Stunde vor Mittag in einer kleinen Bierkneipe in der Kreisstadt an einem ruhigen Nebentisch gegenüber saßen und Martina damit begonnen hatte, ihre Geschichte zu erzählen:

„Ich weiß nicht, ob das überhaupt ein Kriminalfall ist und ich weiß auch nicht, wo ich am besten anfangen soll. Ich habe lediglich einen Verdacht und wenn der falsch wäre, dann hätte ich mich unsterblich blamiert. Vielleicht besser so, dass ich Sie getroffen habe. Wollen wir uns nicht duzen, dann redet es sich leichter?“, beendete Martina ihre ersten Ausführungen. „Gerne, Martina“, antwortete Jessica, „aber ich kann Dir nur helfen, wenn Du mir auch sagst, worum es geht. Am besten Du beginnst Deine Geschichte von Anfang an.“

„Also, ich bin Anfang 50 und bin geschieden“, begann Martina ihre Ausführungen. „Du siehst aber immer noch sehr attraktiv aus“, bemerkte Jessica. „Danke für das Kompliment“, entgegnete Martina. „Ich habe auch immer gerne Sex mit Männern gehabt und habe bestimmt nichts anbrennen lassen. Dann war ich sechs Jahre verheiratet und unsere Ehe endete damit, dass mein Mann mich von heute auf morgen verließ.“ „Lass mich raten“ unterbrach Jessica, „er hatte eine Affäre mit einer anderen Frau.“ Martina schüttelte leicht ihren Kopf. „Das wäre kein Grund gewesen, da bin ich tolerant. Er hatte keine Affäre, er hatte ein Kind mit einer anderen Frau. An dem Tag, als er ging, habe ich erfahren, dass das Kind schon beinahe 2 Jahre alt war. Er muss also zwei Jahre lang regelrecht ein Doppelleben geführt haben.“ „Seid Ihr geschieden?“, fragte Jessica nach. „Seit einem halben Jahr“, antwortete Martina. „Und bekommst Du Unterhalt?“, fragte Jessica.

„Entschuldige, das geht mich gar nichts an, sorry, aber ich habe auch Jura studiert und manchmal geht die Juristin mit mir durch“, entschuldigte sich Jessica. „Kein Problem“, antwortete Martina. „Nein, Unterhalt bekomme ich keinen, da ich selbst gut verdiene und außerdem während des Trennungsjahres geerbt hatte. Ich war also froh, dass wir vorher den gegenseitigen Verzicht auf Unterhalt vereinbart hatten. Kinder hatten wir glücklicherweise keine.“

„Ich war also wieder frei“, fuhr Martina fort, „aber da ich sechs Jahre nicht mehr auf dem Markt war, fiel er mir nicht mehr so leicht als früher, neue Bekanntschaften zu machen. Ich habe dann entsprechende Lokalitäten aufgesucht und hatte auch zahlreiche One-Night-Stands, die wirklich nicht schlecht waren, aber zu einer Beziehung hat es nicht mehr gereicht. Meine Liebhaber waren zwar alle nicht schlecht und ich habe den Sex auch wirklich genossen, aber kaum waren sie da, da waren sie auch schon wieder weg. Die meisten waren vermutlich eh verheiratet, so genau wollte ich das gar nicht wissen.“

Jessica hatte ihr aufmerksam zugehört. „Das ist bis jetzt nicht strafbar“, stellte sie zögerlich fest. Ich sag das bloß, weil Du ja mit der Geschichte zur Polizei wolltest“, erklärte sie. „Nein“, antwortete Martina, „aber wenn Du meine Geschichte begreifen willst, dann musst Du diese Vorgeschichte wissen.“ Jessica hob entschuldigend die Hand: „Sorry, erzähl weiter.“ 

„Ich kam daher auf die Idee, mich in Dating-Sites, also Partnerschaftsportalen im Internet, umzuschauen. Damit hatte ich die Gewissheit, dass ich die Männer erst näher kennen lernen konnte, bevor ich Sex mit ihnen haben würde. Irgendwie hatte ich vermutlich auch die Lust an den One-Night-Stands verloren, ich weiß nicht so recht. Ich hatte dann ein paar Kontakte, mit denen ich regelmäßig schrieb, aber meistens wohnten diese zu weit weg, als dass sich ein persönlicher Kontakt lohnen würde. Und damit ich ganz sicher sein konnte, gab ich an, dass ich in München wohnen würde.“

„Ganz schön clever“, bemerkte Jessica. „Ja, dachte ich auch“, fuhr Martina fort, „bis ich Kontakt mit einem Mann aufnahm, der angegeben hatte, dass er in der Nähe von Heidelberg wohnen würde. Ich kann Dir sein Profil einmal zeigen, es ist ein Traum von einem Mann, Ende 30, schlank und sportlich und von Beruf Ingenieur und er heißt Marcus.“ Martina nahm ihr Smartphone und kurz danach konnte sie Jessica das Profilbild des Mannes zeigen. „Gratuliere, der sieht aber wirklich gut aus“, kommentierte Jessica das Bild.

„Hast Du noch mehr davon?“ Martina nickte. „Wenn Du willst, dann kann ich Dir alles von ihm zeigen.“ Jessica war kurz irritiert. „Alles?“, fragte sie nach, „stellt man auf solche Portale auch Nacktbilder ein?“. „Nein“, antworte Martina und kurz darauf hielt sie Jessica ihr Smartphone hin und diese erkannte darauf das Bild von einem gutaussehenden Mann mit einem nackten Hintern, mit dem man Nüsse knacken könnte.

Langsam kam Jessica der erste Verdacht, welches Problem Martina haben könnte. Der Mann auf den Bildern sah einfach zu gut aus, um Realität zu sein. „So ein Mann sucht doch keine Bekanntschaften auf Dating-Portalen, der kann sich doch die Frauen reihenweise aussuchen“ dachte sie bei sich.

Jessica blickte Martina an und sagte: „Lass mich raten, was Dein Problem ist: Du hast Kontakt mit dem Mann bekommen und irgendwann hast Du im Geld ins Ausland geschickt und jetzt meldet er sich nicht mehr. Die Kriminalisten nennen das Love-Scam oder Romance-Scam.“ Martina schüttelte den Kopf. „Nein, so war es nicht, zumindest nicht so, wie Du es geschildert hast. Ja, ich hatte Kontakt mit ihm bekommen. Und ich habe ihn auch gefragt, warum ein so gut aussehender Mann seine Bekanntschaften im Internet sucht.

Er hat geantwortet, dass er oft beruflich im Ausland unterwegs ist und eigentlich gar keine Zeit für eine richtige Beziehung habe, es sei denn, die Frau würde mitreisen. Aber da er trotzdem nicht allein bleiben wollte, so habe er sich für diesen Weg entschieden. So hätte er jemanden, mit dem er sich zumindest abends im Hotel austauschen könne“, ergänzte Martina.

„Klingt plausibel“ bemerkte Jessica. „Ich habe am Anfang mir keine Gedanken gemacht, denn ich dachte: Was kann in so einer Beziehung schon Schlimmes passieren?“, fuhr Martina fort. „Und mir ging es ähnlich. Ich konnte mich tagsüber auf meinen Job konzentrieren, konnte meine Termine wahrnehmen, ohne jemanden fragen zu müssen, konnte Sport treiben oder ins Studio gehen, wann ich wollte oder wann ich Lust hatte und am Abend, da schrieben wir uns, wie der Tag so gelaufen sei. Ich genoss den Augenblick und ich hatte auch keinen Anlass gesehen, dies nicht zu tun, denn ich konnte diese Beziehung doch einfach und schnell wieder beenden, wenn etwas nicht gestimmt hätte.“ 


„Du hast aber nicht?“ fragte Jessica. „Nein, es gab dazu auch keinen Anlass. Wir schrieben uns mindestens schon 4 Monate, ohne dass etwas auffällig gewesen wäre. Ich war in dieser Zeit auch beruflich ziemlich beschäftigt, sodass ich froh war, wenn ich abends zuhause mit ihm schreiben konnte. „Und wie kamst Du dann zu diesen Bildern?“ fragte Jessica nach. „Nach ein paar Monaten, wo wir uns tadellos verstanden hatten und ich das Gefühl hatte, dass wir wunderbar miteinander harmonierten, da vermisste ich den Sex doch ein wenig.

Gut, ich hätte nebenbei wieder nach One-Night-Stands suchen können, aber ich hatte die Befürchtung, dass ich dann diese Beziehung verlieren würde.“ Jessica zeigte sich erstaunt: „Aber er hätte doch gar nichts mitbekommen, Du hättest doch einfach so tun können, als sei nichts passiert?“, fragte sie nach. Martina schüttelte den Kopf. „Nein“, fuhr sie fort, „das hätte sich für mich nicht gut angefühlt. Ich hatte mich zwischenzeitlich in ihn verliebt, und zwar über beide Ohren, wie man so schön sagt.

Es war zwar am Anfang etwas komisch, nur zu schreiben, aber daran hatte ich mich sehr schnell gewöhnt. Und das, was er schrieb, war einfach zu schön, zu harmonisch, dass ich es nicht mehr vermissen wollte.“ Martina unterbrach und nahm einen Schluck Kaffee.

Dann fuhr sie fort: „Ich wollte es dann irgendwann wissen, wie der Mann wirklich ist. Und dann wollte ich es wieder nicht, weil ich befürchtete, dass mein Prinz sich vielleicht doch in einen Frosch verwandeln könnte. Ich habe wochenlang überlegt und dann habe ich mich doch entschlossen, ihn zu fragen, ob er sich auf vorstellen könne, dass wir miteinander einmal Sex haben könnten.“ – „Und?“, fragte Jessica, „wie hat er darauf reagiert?“ Martina zögerte etwas. „Am Anfang war er sehr zurückhaltend, sodass ich es schon bereute, ihn diesbezüglich gefragt zu haben.

Dann schrieben wir doch über dieses Thema. Er zeigte sich dann doch nicht so abgeneigt, wie ich befürchtet hatte und ich war regelrecht froh. Er fragte mich dann, was ich von Cybersex halten würde. Ich fragte nach, was er damit meine. Er schrieb dann, ich solle ihm Nacktfotos von mir schicken, wenn ich das möchte. Er betonte jedoch zugleich, dass das keine Bedingung sei, dass wir weiter miteinander schreiben könnten. Ich war einverstanden, denn schließlich hatte ich als erste den Vorschlag gemacht.“

Jessica nahm ebenfalls wieder einen Schluck Kaffee und hörte weiter gespannt zu. Dann fragte sie nach: „Und wie sollte dann Euer Cyber-Sex praktisch ablaufen?“ Martina wurde leicht rot. Sie setzte zur Antwort an, aber es fiel ihr sichtlich schwer, darüber in allen Einzelheiten zu reden. Jessica bemerkte diese und ergänzte: „Ist nicht so wichtig, wenn Du darüber nicht sprechen willst.“ Martina schüttelte den Kopf. „Nein“, sagte sie, „jetzt habe ich schon angefangen, Dir alles zu erzählen, dann kommt es darauf auch nicht mehr an.

Also ich habe mich geschminkt und rasiert und dann habe ich vor dem Spiegel einige Selfies gemacht, wo man mich von vorne und von hinten sehen konnte. Dann habe ich ihm das Beste geschickt. Die Bilder hatte ich ein paar Tage zuvor schon gemacht, aber verschickt habe ich es erst, als wir vorher darüber gechattet hatten und er mir sagte, dass er jetzt bereit sei. Etwa eine Minute später schickte er mir ein kurzes Video. Ich kann es Dir zeigen.“  

Martina nahm ihr Smartphone zur Hand und suchte nach der Datei. Dann hielt sie das Smartphone Jessica hin, als das Video abgespielt wurde. Im Detail war zu erkennen, dass ein Mann masturbierte und recht schnell zum Samenerguss kam. Dann war das Video zu Ende. Das Gesicht des Mannes war auf diesem Video nicht zu erkennen.

„O.K.“, begann Jessica wieder die Unterhaltung, „so also funktioniert Cybersex. Und wie kamst Du dann an die Bilder, die Du mir vor ein paar Minuten gezeigt hast?“ fragte sie nach. Noch ehe Martina antworten konnte, gab Jessica die Antwort selbst: „Lass mich raten, ihr habt das Spiel auch umgekehrt gespielt.“ Martina errötete erneut. „Exakt“ antwortete sie, „und nicht nur einmal. Aber meine Videos möchte ich für mich behalten“, ergänze sie. Jessica nickte. „Kann ich gut verstehen“ antwortete sie.

„Ich habe die Zeit genossen“, fuhr Martina fort. Er hat mir wegen meines Körpers die tollsten Komplimente gemacht und irgendwann habe ich ihm gestanden, dass ich wegen meines Alters geschwindelt hatte. Das sehe man mir gar nicht an, hat er mir geantwortet und das machte mich noch glücklicher. Mit einem Mal wurde er aktiver. Er fragte mich, ob ich mir zutrauen könnte, jedes Mal andere Bilder zu schicken, damit es nicht so langweilig werden würde.

Ich habe mir deswegen sogar ein Stativ gekauft, um Bilder von mir zu machen, die er sich gewünscht hatte. Mal im Bad, mal im Schlafzimmer, mal in der Küche, halt jedes Mal eine andere Situation. Und jedes Mal hat er mir danach ein neues Video geschickt und mir geschrieben, wie scharf ich sei und dass er immer sehr schnell komme. Je öfter das passierte, da kam in mir der Wunsch hoch, doch wirklichen Sex mit ihm zu haben.

Aber da war noch die Lüge, dass ich angegeben hatte, im München zu leben. Wieder habe ich lange überlegt, was ich tun sollte, ihm alles zu gestehen mit dem Risiko, dass dann alles aus sei oder es doch zu lassen, wie es war. Ich musste mich zwischen dem Spatz in der Hand und der Taube auf dem Dach entscheiden, wie man sprichwörtlich so sagt.“ Jessica sah Martina fragend an: „Und für was hast Du Dich entschieden, für den Spatz oder für die Taube“, fragte sie nach.

„Ich habe ihm eine ganz lange WhatsApp geschickt und ihm erklärt, dass und warum ich mit München gelogen hatte und zum Schluss habe ich ihm mitgeteilt, wo ich wirklich wohne und dass wir uns deshalb auch mal treffen könnten, da wir gar nicht weit auseinander wohnen würden. Ich habe die Nachricht abgeschickt und habe die Augen geschlossen und gedacht: Vermutlich ist jetzt alles aus. Und dann wartete ich gespannt auf die Antwort, die aber nicht gleich kam.

Dann kam endlich die Antwort, ebenfalls eine ganz lange Nachricht. Er schrieb mir, dass er sehr enttäuscht sei und seine Gefühle erst einmal sortieren müsse. Er sei in früheren Beziehungen so oft angelogen worden, dass er darüber erst mal nachdenken müsse. Ich schrieb ihm mehrere Male, ob er mir nicht verzeihen könnte, ohne dass eine Antwort kam.

Am nächsten Morgen erhielt ich dann doch eine Nachricht von ihm, dass wir uns treffen könnten, wenn er wieder im Lande sei. Er müsse noch ein Projekt vorbereiten und dann für einige Tage in die Türkei reisen. Ich hätte vor Glück jubeln können, als ich das gelesen hatte“, schloss Martina ihre Ausführungen und nahm wieder einen Schluck Kaffee zu sich. 

Jessica hatte weiter aufmerksam zugehört. „Aber dann muss doch noch etwas passiert sein“, fragte sie nach. „Stimmt“, antwortete Martina. „Wir vereinbarten ein Treffen in Heidelberg. Er hatte mir geschrieben, wann er wieder aus der Türkei zurück sein würde und tags darauf wollten wir uns treffen. Zwei Tage vor dem Termin bekam ich dann plötzlich keine Nachrichten mehr von ihm.“

Jessica hatte nach wie vor aufmerksam zugehört. „Hast Du erfahren, was passiert ist?“ fragte sie dann nach. Martina schüttelte den Kopf. „Absolute Funkstille. Ich schrieb ihm fast stündlich, bis ich erkannte, dass dies offenbar keinen Wert hatte.“ – Hattest Du irgendeine Adresse, wo Du hättest nachfragen können?“, fragte Jessica. Martina schüttelte erneut den Kopf. „Nein, eben nicht. Da hatte ich mit dem Mann eine geraume Zeit alles möglich ausgetauscht, die Bilder und die Videos inklusive, aber wo er arbeitet, dass wusste ich nicht.

Ich überlegte mir schon, zur Polizei zu gehen, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben, aber das habe ich gelassen. Ich wusste nicht einmal, wo er genau wohnt, ganz zu schweigen davon, wo er sich in der Türkei aufhalten könnte. Ich habe lediglich beim Auswärtigen Amt nachgefragt, ob dort etwas bekannt sei. Aber auch Fehlanzeige.“

Martina machte eine kleine Pause. Jessica wartete ab und sagte nichts. Martinas Gesichtsausdruck verriet ihr, dass sie gleich fortfahren würde, was dann auch kurze Zeit später auch tatsächlich geschah: „Dann meldete sich bei mir via WhatsApp ein Mann namens Abdul, der sich als Kollege von Marcus vorstellte und mir nur mitteilte, dass dieser verhindert sei. Er gab mir seine Handynummer, wo ich anrufen könne, um Näheres zu erfahren.“

„Und? Hast Du angerufen?“, fragte Jessica nach. „Habe ich. Der Mann war sehr freundlich und sagte mir, dass er auch nicht genau wisse, was passiert sei. Er bot mir jedoch an, dass wir uns treffen könnten, dann würde er mir alles genau erklären, denn er sei gerade bei der Arbeit und könne nicht lange sprechen. Das habe ich akzeptiert, doch am gleichen Abend trafen wir uns in Heidelberg, nachdem seine Schicht zu Ende gewesen war.

Er teilte mir mit, dass Marcus vermutlich in der Türkei überfallen und dabei schwer verletzt worden war und in einer Klinik liegen würde. Er habe diese Information erhalten, als die Firma einen Anruf aus der Türkei erhalten habe. Da er Deutsch-Türke sei und als einer der wenigen im Kreis der Ingenieure türkisch spreche, habe man ihn ans Telefon gerufen, jedoch sei die Verbindung sehr schlecht gewesen.

Die Frau am Telefon habe ihm dann eine Telefonnummer gegeben und gebeten, die Frau, der diese Nummer gehört, zu informieren, dass er nicht zum Treffen kommen könne. Dann riss die Verbindung ab. Mehr wisse er auch nicht.“

„Weißt Du inzwischen mehr?“, fragte Jessica nach. Martina nahm einen Schluck ihres Cappuccinos und fuhr fort: „Ich fragte ihn, ob man seitens der Firma schon Nachforschungen angestellt habe. Ja, antwortete er, das habe man. Man habe Kontakt zu dem Projektteam aufgenommen, aber man könne sich erst in ein paar Tagen darum kümmern, weil der Zeitplan so eng sei und außerdem spreche keiner der Ingenieure türkisch, sodass zu Recherchen der einzige Dolmetscher abgezogen werden müsse.

Dann sagte er mir, dass er gerne in die Türkei fliegen würde, aber ihm fehle dazu das Geld. Da ich unbedingt Gewissheit haben wollte und der Mann in Fleisch und Blut vor mir saß, habe ich ihm vertraut und 1.000 EUR in bar gegeben“.  

„Jetzt kommen wir der Sache schon näher“, sinnierte Jessica. „Du hast ihm also Geld gegeben. Wenn die Sache wirklich faul wäre, dann wäre dies ein Fall des Romance-Scams oder auch Love-Scam genannt, aber der Ablauf ist dafür doch sehr ungewöhnlich“. Martina nickte. „Das habe ich auch schon im Internet gelesen. Was spricht Deiner Meinung nach dafür, dass ich betrogen worden bin?“

Jessica antwortete gleich: „Dass Du den Marcus noch nie zu Gesicht bekommen hast, würde dafür sprechen, denn bekanntermaßen treten die Täter nie persönlich auf. Dagegen spricht, dass Du ja dem Marcus kein Geld gegeben hast, sondern dem Abdul. Der aber wiederum hat offenbar mit der Vorgeschichte nichts zu tun.

In den Fällen, die ich bisher kennen gelernt habe, hat die Täterschaft es immer geschafft, ihre Opfer dazu zu bringen, Bargeld ins Ausland zu schicken, über Western Union oder MoneyGram zum Beispiel. Das war bei Dir nicht der Fall, aber trotzdem ist Bargeld geflossen.“

Martina nickte. „Deshalb bin ich auch so ratlos. Ich habe das alles auch schon im Internet recherchiert.“ Jessica fragte nach: „Und hat er sich wieder gemeldet?“ Martina nickte. „Ja, gleich nach dem Wochenende und er teilte mir mit, dass er ihn gefunden habe, in irgendeinem Provinzkrankenhaus in der Türkei. Aber vorher hatte sich Marcus wieder bei mir gemeldet, zwar unter einer anderen Nummer mit einer türkischen Vorwahl, und er teilte mir mit, dass es ihm der Umstände entsprechend gut gehe und ihm Abdul ein Billig-Smartphone noch besorgt habe, damit er sich selbst bei mir melden könne und er bat mich, Abdul dafür nochmals 200 Euro zu geben.“

Jessica fragte nach: „Und, hast Du?“ Martina nickte. „Und wie ging es weiter?“ fragte Jessica. „Marcus hat mir wieder geschrieben und hat mir Hoffnung gemacht, dass er bald wieder nach Hause kommen würde. Das ging eine Woche lang so. Dann war wieder Funkstille. Keine Nachricht mehr von ihm. Ich rief Abdul an und bat ihn, ob er Nachforschungen anstellen könne, was passiert sei.

Abdul sagte zu, dass er das machen könne. Er rief mich dann einen Tag später an und teilte mir mit, dass Marcus sich offenbar eine Vergiftung oder einen Krankenhauskeim zugezogen habe und deshalb nicht schreiben könne. Ich fragte ihn, ob es möglich sei, dass er mich in die Türkei begleiten könne. Ich wollte unbedingt vor Ort sehen, was Sache sei.“

„Das war sehr vernünftig“ antwortete Jessica. „Und? Bist Du geflogen?“ Martina schüttelte den Kopf. „Nein, Abdul hatte keine Zeit. Ich überlegte, wen ich noch kennen würde, der türkisch spricht, aber mir fiel niemand ein, den ich fragen könnte. Dann nahm ich wieder Abstand von meinem Vorhaben, weil ich mir bewusst wurde, dass ich Marcus ja gar nicht richtig kennen würde.

Zwei Tage später hat sich jedoch Abdul wieder bei mir gemeldet. Er sagte mir, dass ihm die Sache auch keine Ruhe gelassen habe und er deshalb einen Vorschlag habe, wie man Marcus helfen könne. 

Er könne einen seiner Cousins bitten, sich um Marcus zu kümmern. Der solle versuchen, ob Marcus nicht nach Istanbul verlegt werden könne, weil dort die medizinische Versorgung als auch die hygienischen Zustände viel besser seien. Er müsse ihm aber vorher Geld schicken, da der Cousin selbst Unkosten habe. Er sei selbstständig und müsse auch etliche hundert Kilometer fahren. Aber 500 Euro müssten reichen.“

„Und Du hast ihm wieder Geld gegeben?“ mutmaßte Jessica. „Ja“ antwortete Martina, „er kam am Abend vorbei und holte das Geld ab.

Am Abend des darauffolgenden Tags rief mich Abdul wieder an und teilte mir mit, dass der Cousin Marcus gefunden habe. Er sei noch am Leben, aber sehr schwach. Eine Verlegung sei deshalb nicht möglich. Ich fragte ihn, ob es in der Türkei keine Krankentransporte mit dem Hubschrauber gäbe. Doch, hat er geantwortet, aber das sei zu teuer. Außerdem müsse bei dem Krankenhaus in Istanbul ein Vorschuss hinterlegt werden. Die würden sich dann um die Verlegung kümmern.“

Martina stockte und hörte auf zu erzählen. Jessica sah sie fragend an. Sie war sichtlich verlegen, weiter zu erzählen. Dann holte Martina tief Luft und fuhr, ziemlich kleinlaut, fort: „Ich habe ihm am nächsten Tag 10.000 Euro gegeben!“

Jessica war ob der Summe auch sichtlich erschrocken. Martina lieferte jedoch sogleich dann eine Erklärung. „Krankenhauskosten sind nicht billig und dazu noch ein Luft-Transport, ich hielt die Summe für realistisch. Ich habe in diesem Moment gar nicht darüber nachgedacht, dass ich Marcus gar nicht richtig kenne und mir ist auch nicht eingefallen, Abdul zu fragen, ob die Firma nicht etwas beisteuern könne.

Ich bin lediglich am nächsten Tag zur Bank gegangen und war am Abend froh, dass Abdul das Geld entgegen genommen und mir in die Hand hinein versprochen hatte, sich um alles zu kümmern.“ 

Wieder machte Martina eine Pause. Jessica fragte nach: „Hast Du noch Kontakt zu Abdul?“ Martina nickte. „Ja, aber das ist es gerade. Ich telefoniere regelmäßig mit ihm und er gibt mir immer wieder Rückmeldungen, wie es Marcus geht. Er scheint zwischenzeitlich tatsächlich in Istanbul zu sein. Abdul hat mir eine Krankenhaus-Rechnung gezeigt.“

Martina unterbrach ihre Ausführungen und begann, in ihrer Handtasche zu suchen. Dann zog sie ein Papier heraus und zeigte es Jessica. „Hier ist sie, die Rechnung. Es scheint eine Zwischenrechnung zu sein. Zumindest weiß ich jetzt, wo ich ihn suchen könnte.“ Jessica nahm die Rechnung und begann, diese ausgiebig zu studieren. Da die Rechnung jedoch auf Türkisch ausgestellt war, konnte jedoch auch sie aus dem Dokument keine weiteren Schlüsse ziehen.

„Aber hier steht doch als Summe 5.000 Euro. Was ist mit den restlichen 5.000 passiert?“ fragte sie nach. „Nein“ antwortete Martina, „das sind zusätzliche 5.000, weil er ja immer noch dort liegt.“ Jessica sah sie staunend an. „Hast Du das Geld überwiesen, hier steht eine Bankverbindung?“ fragte sie. „Nein“ antwortete Martina. „Abdul hatte mir gesagt, dass seine Familie das Geld aufgebracht und vorgestreckt habe. Also habe ich Abdul die 5.000 in bar gegeben.“

„Wenn ich richtig gerechnet habe, dann hast Du Abdul insgesamt 16.700 Euro gegeben. Ist das richtig?“ fragte Jessica. Martina nickte. „Aber in einer Woche muss ich mich entscheiden, ob ich erneut Geld gebe, weil dann die nächste Krankenhausrechnung kommt. Das ist der Grund, warum ich gestern bei der Polizei war. Niemand kann mir sagen, woran ich bin. Wenn ich nochmals zahle und heraus finde, dass ich einem Betrüger aufgesessen bin, dann tut das weh.

Aber ich fürchte, dass ich mir ewig Vorwürfe machen würde, wenn die Geschichte stimmt und ich, obwohl ich das Geld aufgrund der Erbschaft habe, vielleicht das Leben von Marcus auf dem Gewissen habe, weil ich nicht mehr gezahlt habe.“

Jessica überlegte. „Und was weißt Du von Abdul?“ Martina zuckte verlegen mit den Schultern. „So gut wie nichts. Ich weiß nur, dass er einen blauen 3er BMW mit Heidelberger Kennzeichen fährt. Aber selbst das weiß ich nicht genau.“ Jessica fragte weiter: „Und wann rechnest Du mit der nächsten Zahlung?“

„In zirka einer Woche“ antwortete Martina. „Das ist unsere Chance, etwas Licht in das Dunkel zu bringen. Ich lass mir was einfallen. Vielleicht ganz gut so, dass Du bei mir und nicht bei der Polizei gelandet bist. Ich habe ein paar Freunde und wir haben andere Möglichkeiten als die Polizei, etwas heraus zu finden.“

Als sie das gesagt hatte, wusste sie jedoch noch nicht so recht, welche Hilfe sie Martina anbieten könne. Daher war sie froh, dass sich ihr Smartphone meldete. [...]


Wie die Geschichte schließlich endet, kann im Buch "Jessica und die Odenwaldbande, Episode 1" gerne nachgelesen werden. Ein bischen Spannung muss ich als Autor schließlich aufrecht erhalten.

 


   

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